Dienstag, 21. November 2023
"Nie wieder" ist heute!
Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
wir begehen in diesem Jahr den Volkstrauertag in ganz Deutschland wieder unter dem Eindruck aktuell laufender kriegerischer Auseinandersetzungen - des Krieges in Nahost und des Krieges in der Ukraine.
Krieg ist immer grausam! Er war es vor Hunderten von Jahren, und er ist es heute. Dank der modernen Technik, dank Bodycams und Drohnenkameras, dank Internet und sozialer Medien, erleben wir heute das Grauen aber viel unmittelbarer mit. Doch eigentlich war es nie anders, es war nur weiter weg, solange wir jedenfalls nicht selbst betroffen waren. Jetzt ist es ganz nah, so nah, dass viele es nicht mehr aushalten, dass viele nicht mehr hinschauen können oder wollen. Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte genau das zum Ziel: So entsetzlich und grausam zu sein wie nur irgend möglich. Man wollte gezielt Bilder erzeugen, die nicht mehr zu ertragen sind. Blanken Terror in alle Welt übertragen, aber vor allem nach Israel. Das war die Aufforderung zur Eskalation, es war die Einladung zu einem totalen Krieg. Was aktuell geschieht ist einfach nur entsetzlich. Und entsetzlich bleibt, was in der Ukraine weiter geschieht. Das dürfen wir keinesfalls aus den Augen verlieren, nicht nur, weil es geographisch viel näher an uns ist, sondern weil es einem Muster folgt, das bereits einmal die Welt in einen Krieg gestürzt hat. Machen wir uns nichts vor, beide Konflikte haben das Potential, zu Weltkriegen zu werden.
Gerade wir Deutschen waren uns viele Jahre sicher, dass zumindest die Völker Europas aus den Grauen der beiden Weltkriege gelernt hätten. Wir Deutsche, von deren Boden die Weltkriege im letzten Jahrhundert ausgingen, wir Deutsche, die Krieg und Niederlage erleben mussten, wir Deutsche, die sich für den Angriffskrieg, für unzählige Verbrechen, für Völkermord und Unmenschlichkeit verantworten mussten und müssen, wir Deutsche, die bis heute mit der Schuld des Holocaust leben müssen, wir waren uns sicher, dass das „Nie wieder“ eine überdauernde Errungenschaft der Zivilisation, zumindest in Europa sei. Wir wissen inzwischen nicht nur, dass wir uns geirrt haben. Wir erleben gerade, dass Juden- und Fremdenhass zurück sind auf unseren Straßen. Auf deutschen Straßen, die all das schon einmal erlebt haben. Und deshalb müssen gerade wir dem entschieden entgegentreten, dem Antisemitismus, der Intoleranz, der Ignoranz weiter Teile der Gesellschaft, der Sorglosigkeit, dass das, was einmal war, nicht wieder geschehen könnte. Wir müssen dem russischen Aggressor, dem Kriegstreiber im Kreml, entgegentreten, der heuchlerisch zivile Opfer in Palästina beklagt und im selben Augenblick Raketen auf zivile Ziele abschießen lässt. Und wir müssen engagiert für die Sicherheit von Israel einstehen, das entstanden ist, weil durch unsere Vorfahren alle Juden ausgelöscht werden sollten. Wir haben deshalb Verantwortung für diesen sicheren Hafen zwischen dem Roten- und dem Mittelmeer. Aber gerade wir wissen und haben gelernt, dass es bei einem Krieg keine Gewinner, sondern nur Verlierer gibt. Wir wissen, dass Zivilbevölkerung bei Kriegen nicht nur im Rahmen von Kollateralschäden mehr oder weniger zufällig Kriegsfolgen erleidet, sondern dass eine massive Betroffenheit inzwischen immer stattfindet oder, wie aktuell erlebbar, von der Hamas und von Russland sogar beabsichtigt ist. Wir wissen, dass neben Toten und körperlich Verletzten jedes Schlachtfeld Menschen hervorbringt, die oft ihr Leben lang unter psychischen Erkrankungen leiden und vielfach daran zugrunde gehen. Und Menschen, die ihr Leben lang auf Rache sinnen und keine Gelegenheit auslassen werden, Frieden zu verhindern oder zu bekämpfen.
Gerade deshalb muss Deutschland stets der Friedenstreiber sein, muss Deutschland vermitteln und helfen, auch wenn es, wie wir erleben, sehr schwer ist. Wir müssen unsere weltweiten Verbindungen für den Frieden nutzen. Und gerade wir können zeigen, dass nach scheinbar unüberwindbarem Hass Frieden uns sogar Freundschaft möglich sind. Wer hätte 1945 gedacht, dass unsere Nachbarn uns je wieder die Hände reichen würden? Heute sind wir von Freunden umgeben! Wir wissen und erleben aktuell, dass Gesellschaften ohne die Wahrung von Grund- und Menschenrechten, ohne demokratische Beteiligung, ohne freie Presse, ohne soziale Sicherheit und Zukunftsperspektive über kurz oder lang kollabieren, ganze Regionen destabilisieren und Kriege auslösen können. Wir stehen an der Seite der Ukraine und Israels und arbeiten gleichzeitig für den Frieden in der Ukraine und in Nahost.
All denen in unserem Land, die zweifeln, die nicht bereit sind, die Lasten aus dieser Solidarität zu tragen, sei gesagt:
Deutschland muss und wird auf der Basis seiner Erfahrungen diesen Weg gehen! Wir können weder die Bedrohung Israels noch den russischen Völkerrechtsbruch ignorieren. All dies würde auch auf unser Land zurückfallen, die Folgen wären ungleich dramatischer als alles, was wir bislang zu tragen haben. Und es würde uns gerade am Volkstrauertag zeigen, dass wir aus unserer Vergangenheit nicht gelernt haben. So erfüllen wir heute unsere historischen Verpflichtungen durch den Beistand für das Volk der Ukrainer und für die Israelis, aber auch für die Palästinenser. Wir helfen dort, aber auch hier, indem wir Kriegsflüchtlinge aufnehmen. Unser Land erfüllt seine Bündnisverpflichtungen auch durch den Einsatz der Bundeswehr an vielen Brennpunkten im Bündnisgebiet und bei internationalen Einsätzen. Für diesen großartigen und mutigen Dienst spreche ich Dank, Respekt und Anerkennung aus.
Deutschland hat heute auch Dank des Einsatzes unserer Soldatinnen und Soldaten wieder einen ausgezeichneten Ruf in der Welt. Wir sind geschätzt als Vermittler und Bewahrer von Friedensverträgen, von Gefangenenaustausch, von humanitärer Hilfe. Wir leisten darüber hinaus umfassend Entwicklungshilfe und tragen damit zur Stabilität in vielen Regionen bei. (Heute,) Am Volkstrauertag, gedenken wir aller Opfer von Krieg, Gewalt und Willkürherrschaft. Unser Gedenken schließt dabei immer auch die Toten aller Völker ein, wir verneigen uns vor Ihnen und geben ihnen so ihre Würde zurück.
Ihr Opfer ist uns Verpflichtung, für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Menschenrechte, aktiv einzutreten. Gerade in einer Stadt wie Kaufbeuren, deren Schicksal eng mit Flucht und Vertreibung verbunden ist, wird Humanität und Toleranz gegenüber Entwurzelten zur Pflicht. Ich bin sehr dankbar, dass wir bislang viel Unterstützung bei dieser Aufgabe erfahren haben und hoffe weiter auf das Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Und ich erwarte von allen, die heute in unserem Land und unserer Stadt leben, dass sie sich zu unserer historischen Verantwortung bekennen und aktiv gegen Kriegstreiberei, Fremdenhass und Antisemitismus eintreten.
„Nie wieder“ ist heute!
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